ES GIBT EIN PROBLEM. DAS IST DAS SPRECHEN ÜBER DAS SEHEN
1. /
Wird ein Bild gemalt um es mit Sprache zu füllen?
2. /
Das Sprechen der Künstlerin über das Werk hinaus ist ein Schwieriges. Das Bild soll noch einmal gemalt werden, diesmal mit Worten. Andererseits weiß ich aus eigener Erfahrung, dass das meistens angestrengt wirkt und nicht wirklich zu einem befriedigenden Ergebnis führt. Es ist auch ein Widerspruch, da das Bild nicht das sein darf, was es ist.
Genauso die Rezeption:
Wenn über ein Bild hinaus eine Sprache oder ein Sprechen existiert, dann ist das als Idealfall eine individuelle Empfindung – und mehr noch als nur das Wissen um historische Bezüge.
Aber hat Sinnlichkeit eine Sprache?
Sinnliches Empfinden mit Worten auszudrücken, endet immer in einer Übersetzung. Übersetzung ist der Akt der Variation und orientiert sich am Gekannten in der Sprache.
Manchmal, wenn ich mit Anderen in eine Ausstellung gehe und später gefragt werde, "Wie fandest du den Stuhl", bin ich über den Stuhl als „Stuhl“ verwundert. Da, wo dieser „Stuhl“ war, war er nicht für mich.
Dass der Stuhl also nun ein „Stuhl“ ist, empfinde ich als störend. Meine eigene Assoziation, die fern jeder sprachlichen Beschreibung ist, wird nun von diesem „Stuhl“ vereinnahmt.
Es wäre ein leichtes, bekannte Namen zu nennen, die mit Inge Salchers Bildern zu tun haben. Diese Namen kennt jede und jeder. Auch hätte Inge vielleicht nichts dagegen. Aber diese Spur zu legen, beeinflusst das eigene Sehen und deshalb ...
Die Benennung von Welt ist im besten Fall vor allem dazu da, um uns zueinander bewegen zu können, vielleicht mehr im praktischen Sinn. Die sprachliche Übereinkunft ist das gemeinsame Benennen von Dingen. Sie meint aber nicht das, was wir zu ihnen (diesen Dingen) fühlen, - wenn wir sie ansehen.
Sprache ist eine Grenze.
Grenze ist eine Betonung.
In Inge Salchers Bildern gibt es diese Begrenzungen meinem Empfinden nach nicht. Leinwand fängt zwar links oben an, das Zentrum des Bildes ist aber das Bild im Gesamten. Das hat weniger etwas mit Abstraktion zu tun als vielmehr mit der Wertigkeit.
Es gibt keine Autorität im Ganzen.
Und das alles, die Autorität ist, meint das nicht.
"Die Grundfläche – ist Bezugsraum", sagt Inge.
Für die 27. Serie A, B und C sind drei gleiche weiß grundierte Grundlächen um sie herum gestellt. Beidhändig trägt sie nach und nach aus mehr als 10 Farbtönen bestehende Farbmischungen auf die Leinwand auf. In diesem Prozess ist das Innehalten genauso wichtig wie das immer wieder neu heran bewegen, – das reagieren auf das schon gemalte.
Die Beziehungen einzelner Farbflächen zueinander, und das "Wie" des Aufeinandertreffens der Farbränder. So entstehen diese Bilder.
Interessant wäre nun, ob das Bild nach dem Fertigstellen ein Eigenleben entwickelt, in dem der Schaffensprozess egal und die Malerin nicht mehr gebraucht wird. Wie das Schauen auf einen bekannten Fremden.
Wie muß über so etwas gesprochen werden oder reden wir hier von einem Klischee?
Für mich sind Bilder oder Installationen immer auch Kompositionen. Ganz im musikalischen Sinne gemeint. Meine Augen wandern über das Bild oder durch die Installation im Raum – wie über eine Notation.
Der Klang ist nicht beschreibbar. Vielmehr sehe ich aber den Ton.
Das habe ich nicht von Kandinsky und dieser Satz, den ich gerade spreche, muß sofort gestrichen werden.
Diese für mich ganz individuelle Herangehensweise ist bei Inge Teil ihrer Praxis. In der Malerei wie auch im Klang. Beides ist zwar separat wahrzunehmen, in Inges Nachdenken ist das aber eine Gemeinsamkeit. Zitat: Auf bereits "Ertöntes" reagieren, mit den Farben gegensetzend oder hineinsetzend Unbekanntes zulassen und unendlich viele Entdeckungen
neuer Kombinationen oder auch finden „neuer“ Töne. In den Bildern wie in der Musik.
DAS, WOVON MAN NICHT WEISS, EXISTIERT, DESHALB NICHT NICHT.
Inges Arbeiten sind stark verwoben mit etwas, das ich seit 2015 kenne und was es seit 1972 in einem Zusammenschluss gibt, der als und in den Phren Räumen existiert. Eine Art Baracke auf einem kleinen Hinterhof in München. Sie sind Mittelpunkt für die Aktivitäten des Phren Ensemble und die jährlich stattfindende einwöchige Sommerwerkstatt für
Experimentelle Musik. Ebenso die jährliche Phren Tagung, die Philosophie, Bildende Kunst, Naturwissenschaft, Improvisierte Musik vereint. Inge Salcher kam 1989 in Kontakt mit MICHAEL KOPFERMANN, George Augusta, Peter Fjodoroff, Carmen Nagel-Berninger und Wilhelm Riemenschneider: Das Phren Ensemble, dessen Teil sie seitdem ist. Analytische,
Experimentelle Musik auf präparierten Streich- und Blechblasinstrumenten. KOPFERMANNS Spielart der Viola: senkrecht zwischen die Beine geklemmt. Nur als ein Beispiel. Notation gibt es nicht, aber das ständige reagieren aufeinander. Stoisch wurden und werden Schallplatten veröffentlicht, Konzerte gespielt, ohne einem viel größeren Publikum bekannt
zu werden. Letztes Jahr wurde ein einstündiger Beitrag über das Phren Ensemble bei Deutschlandradio gesendet.
HELMUT BERNINGER war ebenso Teil der Phren Räume. Ein Bildender Künstler mit einem riesigen Werk, der sich stark der Philosophie verbunden fühlte. Zitat: „Philosophie zeigt, wie gedacht werden kann. Malerei zeigt, wie gemalt werden kann“ – und noch ein Zitat: "Ich muß mich fortwährend vor Sprache retten".
Inges Malerei wird maßgeblich von ihm beeinflusst.
Vielmehr also als die bekannten Namen, nenne ich die vielen, die existieren, trotzdem sie nur einem kleinen Kreis bekannt sind.
Wovon man nicht weiß, existiert dennoch.
Für Inge sind diese Personen die Grundfläche des Bezugsraums.
"Das Schöpferische ist eine naive Offenheit nach Unbekannt hin", sagte HELMUT BERNINGER, 1972.
Das nimmt den Faden auf, in welcher Weise Sprache in Kunst existiert. Es ist aber gleichzeitig ein Vorschlag, Welt zu sehen und zu denken. Das Unvorhersehbare zulassen.
Der Begriff der Improvisation ist hier nicht gemeint!
In Inges Praxis sind es Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten, die wichtig sind, wenn sie ihre Bilder malt. Und wie schon oben beschrieben, immer wieder innehält, um sie zu beschauen und neu zu beschauen. Für das, wovon man noch nicht weiß und für das, was kommt.
DAS, WAS MAN NICHT HÖRT, HAT NICHT AUTOMATISCH KEINEN TON.
Inge und ich haben in den Sommern zwischen 2016 und 2018 in München in den Phren Räumen Aufnahmen gemacht. Sie mit präparierten Flügelhorn und präparierter Viola, ich mit meiner Stimme.
Zwei Aufnahmegeräte stellten wir in den Raum:
Eins ist von "sehr guter Qualität", nimmt ohne jegliches Rauschen auf, alles ist ganz klar hörbar. Außerdem liegt ein Diktiergerät im Raum, das unser Tun durch Rauschen, Verzerrung und Übersteuerung verfremdet und minimiert.
Das Wort Verfremdet muß gestrichen werden.
Bei diesem Aufnahmeverfahren wird das Selbe auf unterschiedliche Weise betont.
Das, was auf dem "schlecht aufgenommenen Diktiergerät" nicht zu hören ist, ist nicht gleichzeitig
nicht da, und das, was das "gute Aufnahmegerät" als einziges nicht kann, ist, die Livesituation wieder zu geben. Diese Aufnahmen hat bis heute fast niemand gehört.
Und noch mal – das, was man nicht hört, hat nicht automatisch keinen Ton.
Wenn Herr Haak durch Offenheit und Vertrauen Klaus-Peter Johns Kuration unterstützt und Klaus-Peter John Inge Salcher einlädt, ist die Grundfläche der Bezugsraum.
Dem ist hinzuzufügen: Wovon die Welt ist, sieht man, wenn man in sie hineinschaut.
Dies gilt ebenso für das Hören.
MICHAEL BARTHEL. LEIPZIG 2021
zur Ausstellung "Unvorhersehbares"
Universitätsklinikum